Die Kraft der Musik
Von Krishna Dias
Du fühlst dich traurig und niedergeschlagen, aber plötzlich hörst du ein Lied und deine Stimmung verändert sich. Wer kennt dieses wundervolle Gefühl nicht? Wir wissen, dass Musik uns tief berühren kann, aber warum ist das so? Selbst Charles Darwin, der Vater der Evolutionstheorie, war überrascht von unserer Kapazität, Musik zu verstehen und sie zu erschaffen. Für ihn war es eine der „mysteriösesten Fähigkeiten des Menschen“. Priester und Priesterinnen traditioneller Gesellschaftsformen nutzten die geheime Kunst des Klangs, der Musik und des Wortes, um zu lehren, zu heilen und zu verdeutlichen. In diesen Traditionen stellte der Klang eine direkte Verbindung zwischen dem Menschen und dem Göttlichen dar. Musik berührt uns so tief, dass es wie Magie erscheint. Bei manchen Menschen stellen sich sogar die Haare auf, wenn sie eine spezielle Musik hören. Die unterschiedlichen Klänge, die wir hören, erzeugen in unserem Trommelfell eine Resonanz, aber sie dringen auch noch tiefer ins Bewusstsein vor. Das menschliche Ohr kann bis zu 20.000 Schwingungen pro Sekunde wahrnehmen, doch der menschliche Körper ist so sensibel, dass er sogar Schwingungen fühlen kann, die nicht mehr hörbar sind.
Es gibt diverse Theorien darüber, warum wir so eng mit Musik verbunden sind. Eine der populärsten Ideen, die in wissenschaftlichen Kreisen kursiert, ist, dass Musik sich durch die „sexuelle Selektion“ entwickelte, als eine Art sinnlicher Zurschaustellung, durch die ein Individuum sich beim Liebesspiel gegenüber anderen hervorhob. Eine andere Theorie, die bei Studien in der Universität von Wisconsin (USA) entwickelt wurde, geht davon aus, dass einige musikalische Themen eine seelische Verbindung zu unseren frühzeitlichen Vorfahren schaffen. Wie beispielsweise der Klang eines aufsteigenden Stakkatos (eine Reihe kurzer voneinander getrennter Noten) uns meist in einen Zustand der Wachsamkeit versetzt, lange, absteigende Noten hingegen einen beruhigenden Effekt erzeugen. Diese Klangmuster scheinen für Menschen unterschiedlicher Kulturen eine universelle Bedeutung zu haben, selbst auf Tiere wirken sie. Vielleicht spiegelt Musik Assoziationen mit Tierlauten wieder, die uns dabei halfen, unsere Gefühle auszudrücken, bevor wir es mit Worten tun konnten. Es könnte eine Ausdrucksweise gewesen sein, die den Weg zur Sprache eröffnete.

Seit Beginn unserer Existenz war Musik Teil des menschlichen Alltags. Keine der uns bekannten gegenwärtigen oder vergangenen Kulturen kommt oder kam ohne Musik aus. Einige der ältesten Artefakte, die bei archäologischen Ausgrabungen ans Tageslicht befördert wurden, waren Musikinstrumente: Flöten aus Knochen oder gespannte Tierhäute, die als Percussion-Instrumente dienten. Die Geschichte belegt, dass die alten Ägypter – deren Ideen im mathematischen und musikalischen Bereich von den Griechen größtenteils übernommen wurden –, daran glaubten, dass es im Universum eine perfekte musikalische Harmonie gab. Für sie hatte das Sonnensystem eine eigene Oktave, die mit dem Rest des Universums im harmonischen Einklang war. Sie glaubten, dass jeder Planet unseres Sonnensystems einen speziellen Ton hatte, und dass alle Planeten ein zusammenhängendes musikalisches Arrangement bildeten.
In unserer heutigen Zeit erkennen wir die Kraft der Musik in vielen verschiedenen Bereichen, das gilt auch für die Heilung und den sozialen Zusammenhalt. Musiktherapien konnten bei Menschen unterschiedlichen Alters mit verschiedenen psychischen und emotionalen Problemen erstaunliche Ergebnisse erzielen. Wie auch bei Kindern mit Autismus. Untersuchungen in primitiven Kulturen zeigen, dass Musik auch bei der Entwicklung menschlicher Gesellschaften einen wichtigen Faktor darstellte. Als unsere Urahnen damit begannen, in größeren Gruppen zu leben, scheint das Singen und Tanzen ihnen dabei geholfen zu haben, altruistischer zu denken und eine stärkere kollektive Identifikation zu finden. Aktiv Musik zu machen, erhöht die Wirkung, aber man muss sich nicht unbedingt aktiv am Musikmachen beteiligen, um die positiven Wirkungen zu erfahren. Das einfache Hören eines Lieds, das einen „musikalischen Schauer“ auslöst, kann ausreichen, um das altruistische Verhalten zu erhöhen.

Neurowissenschaftlichen Studien zufolge beginnt das Gehirn einen Nebel in der Selbstwahrnehmung zu bilden, wenn wir uns beim Singen oder Tanzen synchron mit anderen bewegen. Wir beginnen zu denken und fühlen, dass die anderen uns ähnlich sind und unsere Meinungen teilen. Durch mehr Solidarität und weniger interne Konflikte können Gruppen besser überleben und sich fortpflanzen. Musik kann das Gruppengefühl stärken. Dies wird durch die Musikalität des BaBinga-Stamms in Zentralafrika in schöner Art belegt: Diese Menschen haben für fast alle alltäglichen Tätigkeiten Lieder und Tänze. Von der Honigsuche bis zur Elefantenjagd – alles hat eine eigene Melodie.

Musik hat tatsächlich die Kraft, zu verbinden. Und da sie einen so wichtigen Effekt auf unsere menschlichen Beziehungen hat, erscheint es logisch, dass sie sich synchron mit unseren Herzen bewegt und dabei hilft, eine emotionale Bindung zu schaffen. Wir alle erinnern uns an Lieder, die mit wichtigen Ereignissen unseres Lebens verbunden sind. Von unserer Geburt bis hin zu unserem Tod leben wir in einem Soundtrack. Umgeben von Melodien, die mit unserem Leben verwoben sind. Deshalb überrascht es nicht, dass wir in einen Cocktail aus Emotionen und Erinnerungen eintauchen, sobald wir unsere Lieblingslieder hören. Wir sind eindeutig musikalische Wesen und wir tragen das Geschenk der Musik in uns. Es ist Teil unserer Natur. Musik hat uns seit Menschengedenken umgeben und genährt. Das beginnt bei den Klängen, die wir im Bauch unserer Mutter wahrgenommen haben und geht bis zu unserem eigenen Herzschlag – Musik und Rhythmus waren immer ein wichtiger Teil unseres Wesens. •
