AUSGABE: Juni - August 2015

Internet- freiheit

Von Jerry Browstein
Für viele Menschen ist das Internet zu einem unverzichtbaren Teil des Alltagslebens geworden, einem wichtigen Werkzeug, wenn es um Informationen, Kommunikation und Vernetzung geht. Das Internet basierte zu Beginn auf einer Kultur der Freiheit und Offenheit, elementaren Faktoren, die hauptsächlich zu seiner Entwicklung beitrugen. Doch diese Grundprinzipien sind nun infrage gestellt. Sowohl in den USA als auch in Europa wird derzeit eine intensive Debatte über die Internetfreiheit oder die „Netzneutralität“ geführt, wie manche sie nennen. Dabei geht es nicht einfach nur um einen Disput unter Computerfreaks, es ist eine Angelegenheit, die das Leben aller betrifft. Lassen Sie uns einen Blick auf die gegenwärtige Situation werfen.


Was ist Netzneutralität?

Ein Grundprinzip der Netzneutralität ist, dass alle Internetaktivitäten gleich behandelt werden. Dies bedeutet, dass Daten, die von großen Internet-Usern wie Google oder Facebook mit der gleichen Geschwindigkeit übermittelt werden wie diejenigen, die Sie oder ich versenden. In anderen Worten: Den großen Internetnutzern wird keine prioritäre „schnelle Linie“ für ihre Internetverbindung eingeräumt, Ihre persönliche Email und deren Inhalt werden auf gleiche Art und Weise und über dasselbe Netzwerk verschickt. Doch die großen Telefongesellschaften und Kabelunternehmen, die zu den hauptsächlichen Internetdienstanbietern (ISPs) zählen, wollen diese Abwicklung ändern. Es reicht ihnen nicht, dass wir alle unsere Gebühren für den Internetzugang zahlen, diese Firmen fordern jetzt das Recht ein, großen Nutzern mehr zu berechnen und ihnen dafür im Gegenzug eine bevorzugte Behandlung beim Datenverkehr einzuräumen.


Hauptargument der Telekommunikationsfirmen ist, dass sie die „physische“ Infrastruktur des Internets aufgebaut haben (Kabel, Server, drahtloser Internetzugang etc.). Unternehmen wie YouTube, Skype, WhatsApp würden viel Geld verdienen, nur weil man entsprechende Netzwerke aufgebaut habe, die den Menschen Zugang zu ihren Serviceleistungen ermöglichen, erklären Telefongesellschaften und Kabelunternehmen. Deshalb sei es nur fair, wenn Firmen, die von dieser Internet-Infrastruktur profitieren, sich durch höhere Gebühren an den Kosten für die Erweiterung, die Wartung und die Verbesserung dieser Netzwerke beteiligen würden. Oberflächlich betrachtet, scheint es sich um eine faire Geschäftspraxis zu handeln – wer das Netz intensiver nutzt, zahlt auch mehr –, doch die Gegenargumente sind überwältigend.


Denn das Internet kann nicht als eine Ware wie jede andere betrachtet werden. Die meisten von uns benötigen es täglich, es ist essentiell für unser Leben und unsere Existenzgrundlage. Nutzeraktivisten betonen zudem, dass der Erfolg des Internets vor allem darauf begründet ist, dass es bisher von jedem Menschen frei und ohne Einschränkungen genutzt werden konnte. Sollte die Internetfreiheit eingeschränkt werden, wird befürchtet, dass Informationen nach Lust und Laune von großen Unternehmen manipuliert werden könnten. Würde man den Telekommunikationsfirmen erlauben, Premiumgebühren auf schnelle Übermittlungslinien von Großkunden zu erheben, könnte dies außerdem dazu führen, dass auch der Verbraucher für den Zugang zu diversen Serviceleistungen mehr zahlen muss. Diejenigen, die keine höheren Preise zahlen können, würden bestimmte Seiten nicht mehr aufrufen können, und auch ihre Zugangsgeschwindigkeit wäre limitiert. Zudem würde dieses „Zweigeschwindigkeitssystem“ die Wettbewerbsfreiheit verletzen, da kleinere Internetfirmen und Start-Ups die Gebühren für einen bevorzugten Internetzugang nicht aufbringen könnten.

Bartees Cox von „Public Knowledge“ (einer Anwaltsgruppe, die sich mit digitalen Rechten beschäftigt) bringt es folgendermaßen auf den Punkt: „Das Internet sollte ursprünglich eine ausgleichende Funktion haben. Es war jedem zugänglich, wobei es keine Rolle spielte, wie reich man war oder wo man lebte. Doch wenn das Internet nur noch in hochpreisigen Paketen angeboten wird, werden viele Menschen nur den Zugang haben, den sie sich finanziell leisten können. Diese Vorgehensweise würde beispielsweise Internet-Start-Ups benachteiligen, die nicht über ausreichend Kapital verfügen, um mit den etablierten Firmen konkurrieren zu können. Und letztendlich wären die Telefongesellschaften und Kabelunternehmen die einzigen Gewinner.

Wo wir stehen

In den USA bestätigte man der Internetfreiheit erst kürzlich ihren hohen Stellenwert, während ihre Zukunft in Europa derzeit eher in der Luft hängt. Im März 2015 verabschiedete die „US Federal Communications Commission“ (FCC) neue Richtlinien, die unterstreichen, dass das Internet von großer Wichtigkeit für die Öffentlichkeit ist. Deshalb müsse man die Nutzer schützen. Die Essenz der neuen Reglementierungen lautet: Die Netzneutralität muss gewährleistet bleiben, das „Zweigeschwindigkeitsnetz“, das von den Telekommunikationsfirmen angestrebt wird, sollte verboten werden. Auch die europäischen Nutzeraktivisten würden gerne diesem Modell folgen, doch die EU scheint eine andere Richtung anzustreben.

Momentan gibt es in der EU keine klaren Regeln hinsichtlich der Netzneutralität, nur in den Niederlanden existiert ein Gesetz zur Internetfreiheit. Demzufolge gibt es für 96% aller Europäer keinen legalen Schutz, der ihr Recht auf eine komplette und freie Nutzung des Internets gewährleistet. Um Abhilfe zu schaffen, kreierte die EU im Jahr 2013 die „Telecom Single Market Regulation“, eine europäische Richtlinie zur Transparenz und zum Verkehrsmanagement des Internets. Auch das europäische Parlament unterstützte die Netzneutralität, dort stimmte man 2014 zugunsten eines Internetgesetzes ab, das den neuen FCC-Richtlinien ähnelt. Doch dies war nur der erste Schritt eines langwierigen Regulierungsverfahrens. In diesem Jahr wurde das Thema erneut vom EU-Rat, der sich aus den Ministern der 28 Mitgliedstaaten zusammensetzt, aufgegriffen, und man kam zu einem völlig anderen Ergebnis. Der EU-Rat unterstützt nämlich den Vorschlag der Telekommunikationsunternehmen, von großen Internetnutzern höhere Gebühren zu verlangen, damit diese ihre Videos und andere Inhalte schneller übermitteln können als kleinere Firmen, die nicht für diese Vorzugsbehandlung zahlen.


Momentan plädiert also das europäische Parlament für die Netzneutralität, während die Mehrheit der europäischen Mitgliedstaaten, die den EU-Rat bilden, sich dagegen aussprechen. Aber was wird letztendlich herauskommen? Gemäß der EU-Verfahrensabwicklung können weder die Vorschläge des Parlaments, noch die des EU-Rats umgesetzt werden, bevor man nicht zu einem Kompromiss gelangt ist. Und deshalb scheint der Kampf derjenigen, die für Europa Netzneutralität fordern, noch nicht ganz verloren. Doch der Gegenwind bläst kräftig. Denn einige EU-Regierungen, vor allem die spanische und deutsche, werden von ihren großen nationalen Telekommunikationsunternehmen enorm unter Druck gesetzt. Die Internetfreiheit ist deshalb in Gefahr. Verbraucherschutzanwälte befürchten, dass die mächtigen Internetdienstanbieter die individuellen Rechte des Einzelnen beschneiden werden. Für all diejenigen, für die das Internet längst wesentlicher Bestandteil des Alltagslebens ist, könnte dies große Nachteile bringen. Bleibt abzuwarten, ob die europäischen Regierungen dem Druck der mächtigen Telekommunikationsunternehmen standhalten können und sich stattdessen für eine Regulierung entscheiden, die dem Wohl der meisten EU-Bürger dient. •